TITEL Zertretene. – Arme Familie
TECHNIK Radierung
SIGNATUR Signiert 'Käthe Kollwitz' unten rechts
ENTSTEHUNGSJAHR 1900/01
GRÖSSE (H x B) 23,5 x 20 cm (37 x 28 cm)
RAHMEN Holzrahmen mit säurefreiem Passepartout und UV-Schutzverglasung
ZUSTAND Schöner Zustand, kleinere Flecken im Papier
PROVENIENZ Privatbesitz
KUNSTWERK
"Zertretene. – Arme Familie", 1900/01, Strichätzung, Kaltnadel, Aquatinta und Polierstahl, 23,5 x 20 cm (37 x 28 cm), Knesebeck 49 bis II B b (von e).
Die ursprüngliche Radierplatte zu »Zertretene« fertigte Käthe Kollwitz nach der 1900 entstandenen Vorzeichnung »Das Leben« (Inv.Nr. C 1971/2138). Noch vor dem Mai 1901 zerschnitt die Künstlerin die Platte, da sie die Darstellung plötzlich als sentimental empfand und »nur noch den linken Teil, wo der Mann der Frau den Strick reicht« für gültig erklärte: »das andere ist mir jetzt fatal.« Die Darstellung erhielt den neuen Titel »Arme Familie«. Als Zeichen für Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hält der Mann hinter Mutter und Kind eine Schlinge in der Hand direkt neben dem Kinderkopf. (Quelle: Staatsgalerie Stuttgart)
Käthe Kollwitz verarbeitet hier noch einmal das Motiv der als Abschlussblatt des Weberzyklus geplanten Radierung »›Aus vielen Wunden blutest Du, oh Volk‹«. Mit dieser ist in der dreiteiligen Komposition »Zertretene« die mittlere Szene identisch. Doch anstelle der gefesselten Frauen links und rechts des Abschlussblattes sind in dieser Komposition nun zwei Szenen eingefügt, die die katastrophale Lage des Proletariats thematisieren. Die Platte wurde von der Künstlerin geteilt. Von dem Motiv »Arme Familie« – dem linken Teil der Platte - wurden mehrere Auflagen gedruckt. Die sitzende Mutter hält den Kopf des leblosen Kindes in ihrem Schoß, der Mann reicht ihr - sich gleichzeitig abwendend - den Strick als Symbol für den einzigen Ausweg aus ihrer Notlage, den Weg in den Tod. Die rechte Szene thematisiert die zumindest für viele Frauen des Proletariats einzige Alternative zum Freitod - die Prostitution. Kollwitz zeigt diese hier nicht als lasterhaftes oder unmoralisches Verhalten. Durch die verzweifelte und entblößt an den Pfahl gefesselte Frau wird deutlich, dass Not und Elend sie zu diesem Handeln zwingen. (Quelle: Käthe Kollwitz Museum Köln)
Die Radierung stammt war zwischenzeitlich Teil der Kunstsammlung des Verlegers Wilhelm Reißmüller aus Ingolstadt. Ein Adressstempel auf der alten Rahmung weist auf diese Provenienz hin.
KÜNSTLER
Käthe Kollwitz (geb. Schmidt; * 8. Juli 1867 in Königsberg (Preußen); † 22. April 1945 in Moritzburg bei Dresden) war eine deutsche Grafikerin, Malerin und Bildhauerin und zählt zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihren oft ernsten, teilweise erschreckend realistischen Lithografien, Radierungen, Kupferstichen, Holzschnitten und Plastiken, die auf persönlichen Lebensumständen und Erfahrungen basieren, entwickelte sie einen eigenständigen, Einflüsse von Expressionismus und Realismus integrierenden Kunststil.
Käthe Kollwitz wurde als Tochter von Katharina (1837–1925) und Karl (1825–1898) Schmidt geboren. Karl Schmidt hatte zunächst Jura studiert und war dann, als er aufgrund seiner liberalen Ansichten keine Anstellung beim preußischen Staat fand, Maurermeister geworden. Katharina, geborene Rupp, war eine Tochter des freikirchlichen Predigers Julius Rupp. Käthe Kollwitz hatte als Geschwister Julie, Lisbeth und den späteren Ökonomen und Philosophen Conrad Schmidt (1863–1932).
Sie verbrachte ihre Kindheit von 1867 bis 1885 in Königsberg. Durch ihren Vater gefördert, nahm sie ab 1881 Unterricht bei dem Künstler Rudolf Mauer. 1885/86 ging sie in die sogenannte Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen. Sie erhielt Unterricht von Karl Stauffer-Bern und wurde mit Gerhart Hauptmann und Arno Holz bekannt. In diese Zeit fällt ihr Interesse an den graphischen Arbeiten Max Klingers, dessen Radierzyklen sie nachhaltig beeinflussten. Nach einem Jahr kehrte sie nach Königsberg zurück und wurde von Emil Neide, selbst Absolvent und später Lehrer an der Kunstakademie Königsberg, unterrichtet. Anschließend studierte sie bis 1890 in München bei Ludwig Herterich.
Nach ihrem Studium lebte sie ein Jahr als Künstlerin in Königsberg, ehe sie im Juni 1891 ihren langjährigen Verlobten, den Arzt Karl Kollwitz heiratete. Gemeinsam zogen sie in einen Berliner Arbeiterbezirk, den Ortsteil Prenzlauer Berg, in ein Eckhaus der damaligen Weißenburger Straße (heute Kollwitzstraße 56A) direkt am damaligen Wörther Platz (Straße und Platz sind seit 1947 nach ihr benannt). 1892 gebar sie ihren Sohn Hans, 1896 den Sohn Peter. Von 1898 bis 1902/1903 war sie Lehrerin an der Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen.
Allgemeine Aufmerksamkeit zog Käthe Kollwitz erstmals durch die Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 auf sich, wo sie ihre Radierfolge Ein Weberaufstand zeigte. Die ersten drei Blätter zu diesem Zyklus hatte sie bereits 1893 nach dem Erlebnis der Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Schauspiel Die Weber als Lithografien gefertigt. Max Liebermann war davon so beeindruckt, dass er die junge Künstlerin noch im selben Jahr zur kleinen goldenen Medaille vorschlug. Dies wurde jedoch von Kaiser Wilhelm II. abgelehnt. Die moderne Kunst bezeichnete er als Rinnsteinkunst, sie stand in krassem Widerspruch zum damals bevorzugten Historismus und der großbürgerlichen Salonmalerei.
Im Jahr 1906 wurde sie mit dem Villa-Romana-Preis ausgezeichnet, dem ältesten Kunstpreis Deutschlands. 1910 begann sie mit der Bildhauerei. Eine enge Freundschaft verband sie mit dem Berliner Maler Otto Nagel.
1914 fiel ihr Sohn Peter in der Ersten Flandernschlacht. Dieser Verlust brachte sie in Kontakt mit dem Pazifismus und mit Sozialisten. Die im Zeitraum zwischen 1914 und 1932 geschaffene Skulptur Trauerndes Elternpaar ist dem gefallenen Sohn gewidmet und steht heute auf der Kriegsgräberstätte Vladslo, wohin er 1956 umgebettet wurde.
Nach der Ermordung Karl Liebknechts widmete sie ihm einen Holzschnitt. Ihrer Meinung nach hat Kunst die Aufgabe, die sozialen Bedingungen darzustellen. Sie war Mitglied sowohl im Deutschen Künstlerbund als auch in der Künstlerorganisation Berliner Secession und arbeitete für die Internationale Arbeiterhilfe (IAH). 1919 ernannte man Käthe Kollwitz zur Professorin der Preußischen Akademie der Künste. Sie war die erste Frau, die je zur Mitgliedschaft aufgefordert wurde. Ebenfalls als erste Frau erhielt sie am 29. Mai 1929 den preußischen Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste. 1926 unterzeichnete sie die „Erklärung für die Erhaltung des Alten Berlin“ zur Bewahrung charakteristischer Straßen- und Platzbilder.
Einer Partei gehörte sie nie an, empfand sich aber als Sozialistin und unterstützte einen Aufruf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) zu einer Zusammenarbeit von KPD und SPD. 1933 wurde sie zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen und ihres Amtes als Leiterin der Meisterklasse für Grafik enthoben, da sie zu den Unterzeichnern des Dringenden Appells zum Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront gegen den Nationalsozialismus gehört hatte. Ab 1934 bezog Käthe Kollwitz den Atelierraum Nr. 210 in der Klosterstraße 75. Im Jahr 1936 wurden die Exponate der Künstlerin aus der Berliner Akademieausstellung als „Entartete Kunst“ entfernt, was einem Ausstellungsverbot gleichkam. Sie konnte jedoch in der Ateliergemeinschaft relativ unbehelligt an ihrem Alterswerk weiterarbeiten und vollendete dort bis November 1940 eine Vielzahl von Zeichnungen, Grafiken (u. a. 1937 die Lithografie-Folge Tod) und bildhauerischen Arbeiten (z. B. 1937 die 1932 begonnene Zementplastik Mutter mit Zwillingen oder 1938 bis 1940 die Bronze Die Klage).
Ihr Mann starb 1940 und wurde im Familiengrab auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde begraben. 1943 floh sie vor dem Bombenkrieg nach Nordhausen. Im November 1943 wurde ihre Wohnung in der Weißenburger Straße ausgebombt; dabei wurden zahlreiche Grafiken, Drucke und Druckplatten zerstört.
Im Juli 1944 zog Käthe Kollwitz auf Einladung von Ernst Heinrich von Sachsen in den Rüdenhof des Ortes Moritzburg um. Hier bewohnte sie im ersten Stock ein Eckzimmer mit Blick auf das Schloss Moritzburg und ein danebenliegendes Zimmer mit Balkon. Von der Wohnungseinrichtung sind der Nachttisch, ihr Tagebuch und eine Büste von Johann Wolfgang von Goethe erhalten geblieben. Sie starb am 22. April 1945, wenige Tage vor dem Ende des Krieges und des Naziregimes, in dieser Wohnung. Das Gebäude ist heute das Käthe-Kollwitz-Haus Moritzburg, eine Gedenkstätte, die an das Leben und Werk der sozial engagierten Künstlerin erinnert.
Käthe Kollwitz ist zusammen mit einigen Familienangehörigen auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde bestattet. Ihr Grab liegt in der Künstlerabteilung des Friedhofs und ist als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet.