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TITEL Tanzende (Verso: Halbakt)
TECHNIK Tuschezeichnung auf Papier
SIGNATUR -
ENTSTEHUNGSJAHR 1922
GRÖSSE (H x B) 17 x 21,5 cm
RAHMEN Holzrahmen mit säurefreiem Passepartout und UV-Schutzverglasung
ZUSTAND Gut erhalten; Ecke li. u. restauriert
PROVENIENZ Privatsammlung, Freiburg
KUNSTWERK
"Tanzende", 1922, Tuschezeichnung auf Papier, 17 x 21,5 cm, unsigniert, verso "Halbakt", Tuschezeichnung, 1922.
Kirchner schrieb Ende der 1920er Jahre in einem Manuskript: »Ich lernte den ersten Wurf schätzen, so dass die Skizzen und Zeichnungen für mich den größten Wert hatten. Was habe ich mich oft geschunden, das bewusst zu vollenden auf der Leinwand, was ich ohne Mühe in Trance auf der Skizze ohne weiteres hingeworfen hatte und was so vollendet und ruhig war, dass es fertig erschien«. Kirchner trug immer ein Skizzenbuch bei sich: „Wo er ging und stand.“ Nicht ohne Grund: „Die spontanen Skizzen ... gelten als Ausdruck seines „inneren Zwanges“ zur Gestaltung. Im Atelier oder in der Landschaft, im Zirkus, im Kino und auf der Straße, ständig begleiten ihn schwarze Wachstuchhefte, in die er mit Bleistift oder Feder ununterbrochen skizzierte. Im Davoser Tagebuch findet sich jene Formulierung Kirchners, die inzwischen klassischen Rang erreichte: „Geboren aus der Ekstase des ersten Sehens.“ Das meint: Skizzenbücher stehen „Am Anfang.“ Eine herausgehobene Stelle, die etwas zu tun hat mit dem Gedanken: Wie? Wo? Wann? Womit begann alles?
Ernst Ludwig Kirchner war gelegentlich von Davos aus in Zürich und besuchte in den Jahren 1919 bis 1921 auch Varietés. In diesem Zusammenhang kann man wohl die Zeichnung »Tanzende« sehen. Kirchner war vom Tanz besessen. Immer wieder hat er Tänzerinnen und Tänzer, auf der Bühne oder auf dem Parkett, Ballerinen, aus Vergnügen sich wiegende Damen, mit und ohne Hülle, gezeichnet, in Holz geschnitten, farbig als Lithografie gedruckt oder mit Wasserfarben hingehaucht. Der Tanz als Inbegriff von Bewegung ist zentraler Bestandteil in seinem Oeuvre.
Kirchners Darstellung und Umsetzung des Tanz-Sujets durchläuft im Laufe seines Lebens tiefgreifende stilistische und inhaltliche Wandlungen. Sein Bestreben, Bewegung künstlerisch umzusetzen, fokussiert sich in den Bereichen Varieté, Zirkus und Tanz, gipfelnd in den Jahren der »Brücke« in Dresden und Berlin. Hier wird Tanz auch zur Metapher der Erotik. Die gesundheitlichen Folgen des Ersten Weltkriegs führen Kirchner in die Schweiz, wo ihn die tanzenden Bauern zu kraftvollen Holzschnitten inspirieren. 1925/26 begegnet er der Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin Mary Wigman bei einer Deutschlandreise nach Dresden. Inspiriert von ihrem expressionistischen Ausdruckstanz entstehen eindringliche Zeichnungen und ein Gemälde. In Kirchners Spätstil finden die Tanz-Darstellungen zu einer symbolisch aufgeladenen Bildsprache.
Die Zeichnung »Tanzende« wurde 1980 im Katalog zu einer umfassenden Ausstellung zum 100. Geburtstag Kirchners abgebildet (S. 388, Katalog-Nr. 101, dort bezeichnet »Szene aus „1001 Nacht“«, vgl. Dube H 484):
AUSSTELLUNG: ERNST LUDWIG KIRCHNER - ZEICHNUNGEN, PASTELLE, AQUARELLE
- Aschaffenburg, Museum der Stadt Aschaffenburg (April - Mai 1980)
- Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle (Juni - August 1980)
- Essen, Museum Folkwang (August - Oktober 1980)
- Kassel, Staatliche Kunstsammlungen (Oktober 1980 - Januar 1981)
KÜNSTLER
Ernst Ludwig Kirchner (* 6. Mai 1880 in Aschaffenburg; † 15. Juni 1938 in Frauenkirch-Wildboden bei Davos/Schweiz) war ein deutscher Maler und Grafiker und zählt zu den wichtigsten Vertretern des Expressionismus. Kirchner war ein Gründungsmitglied der Künstlergruppe Brücke.
Die Studienjahre, die Kirchner nach dem Abitur in Chemnitz 1901 mit einem Architekturstudium an der Technischen Hochschule Dresden begann, beendete er 1905 erfolgreich mit der Diplomarbeit Entwurf einer Friedhofsanlage. Im Wintersemester 1903/04 hatte er an der Technischen Hochschule München studiert, die ihn enttäuschte; lediglich der Besuch der Münchner Debschitz-Schule war für ihn ein Gewinn. Nach dem vollendeten Studium entschied er sich jedoch gegen den Beruf des Architekten.
Am 7. Juni 1905 schloss Kirchner sich mit Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff zur Dresdner Künstlergemeinschaft Brücke zusammen. 1906 schlossen sich Cuno Amiet, Emil Nolde und Max Pechstein als aktive Mitglieder an. In dieser Zeit entwickelte Kirchner sich von einem impressionistisch beeinflussten Maler zum Expressionisten. Zu seinen bevorzugten Themen gehörten neben Aktmalerei und Porträts auch Landschaften, Stadtansichten und die Welt des Varietés.
Doris Große, genannt „Dodo“, eine Modistin aus Dresden, wurde ab 1909 für zwei Jahre Kirchners Modell und Geliebte. Ab demselben Jahr stand die damals neunjährige Lina Franziska Fehrmann, genannt „Fränzi“, Modell für die Maler Heckel, Pechstein und Kirchner. Im Sommer an den Moritzburger Teichen, im Winter in den Dresdner Ateliers wurde sie von den Künstlern skizziert, gezeichnet, gemalt und in druckgrafischen Techniken porträtiert. Erst im Juli 1995 wurde in einem Skizzenbuch Kirchners ihr Familienname „Fehrmann“ entdeckt, sodass bei der Nachforschung in Kirchenbüchern ihre Identität festgestellt werden konnte.
Kirchner lebte bis 1911 in Dresden und zog dann nach Berlin. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der mangelnde Erfolg seiner Kunst. In Berlin besserte sich seine Lage zunächst nur wenig. In seinen Bildern war jedoch eine Veränderung bemerkbar. So wurden seine runden Formen nun zackiger, die Striche erschienen nervöser (Kontrast von Landschaft und Großstadt), seine Farben ließen in der Leuchtkraft nach. Straßenszenen tauchten in seinem Werk auf. Es sind in der heutigen Kirchner-Rezeption die gefragtesten Bilder des Künstlers. 1911 nahm er mit weiteren Brücke-Künstlern an einer Ausstellung der Neuen Secession, geleitet von Max Pechstein, in Berlin teil.
Im Dezember 1911 gründete Kirchner zusammen mit Max Pechstein eine Malschule namens MUIM-Institut („Moderner Unterricht in Malerei“), die aber keinen Erfolg hatte. 1912 lernte er seine langjährige Lebensgefährtin Erna Schilling (1884–1945) kennen. Nach der Teilnahme an der Ausstellung des Sonderbunds in Köln verfasste Kirchner 1913 eine Chronik über die „Brücke“, in der er seine Bedeutung für die Künstlergruppe stark überbetonte. Daraufhin kam es zum Streit mit den anderen verbliebenen Mitgliedern, in dessen Folge Kirchner austrat. Das führte zur endgültigen Auflösung der Gruppe.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Kirchner als Freiwilliger und wurde Fahrer bei einem Artillerieregiment. Im Frühjahr 1915 kam er als Rekrut nach Halle an der Saale. Nur wenige Monate ertrug er den Drill, dann wurde er Anfang November nach einem nervlichen Zusammenbruch beurlaubt. Kirchner geriet in Abhängigkeit von Medikamenten (anfangs Veronal, später Morphin). Er wurde in Deutschland im Sanatorium Dr. Oskar Kohnstamm in Königstein im Taunus behandelt, wo er im Sommer 1916 einen Zyklus von fünf im Verfahren der Enkaustik erstellten Wandgemälden schuf. Finanziert wurden die ersten Sanatoriumsaufenthalte des mittellosen Künstlers von wenigen Museumsleuten und Kunstsammlern wie Ernst Gosebruch, Karl Ernst Osthaus, Botho Graef und Carl Hagemann, die auf sein Werk aufmerksam geworden waren.
1917 zog Kirchner in die Schweiz, nach Davos. Während er, mit Lähmungserscheinungen behindert, glaubte, niemals wieder malen zu können, legte seine Lebensgefährtin Erna Schilling in Berlin durch eifrige Verkäufe die Grundlage für seine Erfolge und für seine finanzielle Unabhängigkeit. In Davos wurde er von Lucius Spengler und insbesondere von dessen Frau Helene betreut. Deren Rigorosität und Kirchners eisernem Willen war es zu verdanken, dass er 1921 von Medikamenten entwöhnt war. Diese Entwöhnung war der Beginn einer gesundheitlich relativ stabilen Phase im Leben Kirchners. Ab Mitte der 1920er-Jahre litt er zunehmend unter den harten Wintern in Davos, die seiner Gesundheit zusetzten, und unter jahrelangen schweren Depressionen Erna Schillings. Henry van de Velde besuchte Kirchner in Davos und konnte ihn zu einem Kuraufenthalt im Sanatorium Bellvue bewegen, wo er sich mit Nele van de Velde befreundete und sie zu seiner Schülerin machte.
Obwohl Kirchners Kunst seit etwa 1920 in für moderne Kunst aufgeschlossenen Kreisen feste Anerkennung genoss, wurde sie doch seiner eigenen Meinung nach in der Kunstkritik nicht hinreichend gewürdigt. Deshalb sorgte er selbst für diese Würdigung, indem er unter dem Pseudonym Louis de Marsalle verschiedentlich Aufsätze über seine eigene Kunst schrieb und nur denjenigen Kunstschriftstellern das Recht zur kostenlosen Reproduktion seiner Bilder gab, die bereit waren, sich ihre Texte vorher von ihm genehmigen zu lassen.
Nicht nur deshalb galt Kirchner als schwieriger Mensch. Sein Misstrauen grenzte ans Pathologische. Ausstellungen und Publikationen genehmigte er nur mit ausführlichen Verträgen, deren Formulierungen seinen Geschäftspartnern fast unannehmbare Bindungen auferlegten, während er sich selbst alle Freiheiten vorbehielt. Er konnte ebenso charmant und gewinnend wie beleidigend und verletzend sein. Sein Zorn traf alle, die seine frühere Zugehörigkeit zur Brücke erwähnten, ihn als Expressionisten bezeichneten oder seine Kunst in Zusammenhang mit angeblichen Vorbildern brachten.
Ende 1925 verließ Kirchner zum ersten Mal seit neun Jahren die Schweiz und reiste über Frankfurt/M. (Besuch bei seinem Kunsthändler Schames und Carl Hagemann), Chemnitz (Besuch der Mutter), Dresden (Besuch von Will Grohmann) nach Berlin. Auf der fast dreimonatigen Reise erfuhr er durchweg hohe Anerkennung, doch hoffte er vergeblich, dass ihm in Deutschland eine Professur angeboten würde.
Kirchners Malstil wurde ab 1925 zunehmend flächiger, Ende der zwanziger Jahre entwickelte er einen sehr persönlichen, immer gegenständlichen, aber stark abstrahierenden Stil. Ein geplanter Auftrag für eine große Wandmalerei im Museum Folkwang in Essen befruchtete sein Spätwerk, scheiterte aber an menschlichen Problemen zwischen dem Auftraggeber (Ernst Gosebruch) und Kirchner. In seinen letzten Lebensjahren entstanden weniger abstrahierende, aber stark von Licht- und Schattenproblemen geprägte, konstruiert-gegenständliche Bildkompositionen.
Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten blieb er zunächst noch Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, wurde aber im Juli 1937 endgültig ausgeschlossen. Im selben Monat wurden in Deutschland 639 Werke Kirchners aus den Museen entfernt und beschlagnahmt, 32 davon wurden im Rahmen der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, darunter das Selbstbildnis als Soldat. Einige dieser Werke wurden später postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959) und auch der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt.
Kirchner nahm sich in Davos am 15. Juni 1938 mit einem Herzschuss das Leben. Das Motiv für die Selbsttötung war nach der Literatur über Kirchner die tiefe Enttäuschung des Künstlers über die Diffamierung seiner Werke in Deutschland. Inzwischen ist aus Kirchners Schriftwechsel mit seinem Arzt Frédéric Bauer bekannt, dass er seit 1932 wieder morphiumsüchtig war. Vermutlich hat seine Selbsttötung auch etwas mit einer von Kirchner forcierten Reduktion seiner Morphiumdosis im Jahr 1938 zu tun. Diese These wird auch durch Kirchners Abschiedsbrief an seinen Freund, den Architekten und Bildhauer Erwin Friedrich Baumann, gestützt, in dem er vor der Gefahr der Drogen warnt. Am 10. Mai beantragte er bei der Gemeinde Davos das Aufgebot für die Eheschließung mit Erna Schilling, zog es jedoch am 12. Juni wieder zurück. Zur Zeit des Suizids stand nach Aussage seiner Lebensgefährtin, die amtlich den Namen Kirchner tragen durfte, das Gemälde Schafherde (1938) auf der Staffelei. (Auszug aus Wikipedia.de)
EINZELAUSSTELLUNGEN NACH DEM TOD DES KÜNSTLERS